„Versorgungsraum“ zwischen Integrated Water Resources Management, Migration und Wassertransfer

Steffen Niemann

Das geographische Teilprojekt in widmet sich einer demographisch induzierten, sozial-ökologischen Problemlage Versorgungssystem Wasser: der Überlagerung von
- „inter-basinalem“ (= Wasserscheiden überquerendem) Wassertransfer einerseits
und
- der zunehmend erkannten Bedeutung von Gewässereinzugsgebieten als der in wasserwirtschaftlichen Aktivitäten maßgeblichen territorialen Einheit andererseits.

Im Zentrum des geographischen Teilprojektes steht der „Versorgungsraum“ als gleichermaßen räumliche Basis wie auch räumlich manifestiertes Ergebnis aller Versorgungsaktivitäten. Hierbei interessieren insbesondere solche Aspekte der Versorgung, die sich aus der nahezu weltweit zu beobachtenden zunehmenden räumlichen Konzentration in der Bevölkerungsverteilung ergeben – einer Form der Migration bzw. Bevölkerungskonzentration, die sich offensichtlich jenseits des Kriteriums der Ressourcenverfügbarkeit vollzieht: War die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen in historischer Zeit über Generationen hinweg wesentliches Kriterium bei der Wahl des (Wohn-)Standortes, so gewannen spätestens mit dem Beginn der Industrialisierung – und zudem unterstützt durch den verstärkten Bevölkerungsdruck – andere Aspekte hierbei zunehmend an Bedeutung. Veränderte Kräfte haben so zu einer Entstehung neuer Siedlungen geführt, anhaltende Zuwanderung zu den neuen Ballungsräumen intensivierte die eingeleitete Entwicklung. Die Verteilung der Weltbevölkerung und somit der Nachfrage folgt heute weniger denn je den Standorten des (Rohstoff- und Wasser- bzw. Süßwasser-)Angebotes. Folgerichtig sind mittlerweile viele dicht besiedelte Regionen der Welt an Orten zu finden, die nicht über entsprechende Süßwasserressourcen verfügen, um eine befriedigende Versorgung der Bewohner zu ermöglichen. Ein (plausibel erscheinendes) Fortsetzen dieser Entwicklung vorausgesetzt, werden größere Wassertransfers zukünftig eines der wichtigsten Mittel sein, Versorgungsengpässe zu beseitigen – wir sind dabei, in den natürlichen Wasserkreislauf ein menschengemachtes Netz der Wasserumverteilung einzufügen.

Es zeigt sich, dass die hier skizzierte Entwicklung – auf eine stärker abstrahierte Ebene gehoben – auch bedeutet, dass der Grad der funktionalen Ausdifferenzierung einzelner Räume anwächst. Einerseits gibt es solche Räume, aus denen heraus die in anderen Räumen siedelnde Bevölkerung mit Ressourcen versorgt wird (=> „Nährgebiet“) und andererseits solche, deren Bewohner sich aus den in anderen Räumen verorteten Ressourcen versorgen bzw. versorgt werden (=> „Zehrgebiet“).

Das weltweit favorisierte Konzept des Integrated Water Resources Management (IWRM) mit seinem Verständnis des hydrologischen Flusseinzugsgebietes als räumliche Wasserbewirtschaftungseinheit ersetzt eine vormals nationalstaatlich geprägte Form der Grenzziehung in der Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen durch eine hydrologisch geprägte Form. Hierin ist ein Konflikt bzw. eine sozial-ökologische Problemlage mit dem einer fortschreitenden Bevölkerungskonzentration folgenden, interbasinalen Wassertransfer angelegt.

Die für das geographische Teilprojekt bestimmende Fallstudie galt regional primär der Situation im Norden Namibias. Hier am Unterlauf des nur episodisch wasserführenden Cuvelai-Deltas, wo sich ein großer Teil der namibischen Bevölkerung konzentriert (=> „Zehrgebiet“), erfolgt die Wasserversorgung weitenteils über ein auf angolanischem Territorium entspringendes, vom benachbarten Kunene (=> „Nährgebiet“) gespeistes Fernleitungsnetz. Der Versorgungsraum als physisch-räumliche Einheit schließt folglich im konkreten Fall zwei hydrologisch voneinander unabhängige Einzugsgebiete ein, verknüpft generell Räume unterschiedlicher Funktionszuweisung und schafft somit ein Geflecht vielschichtiger räumlicher Wechselwirkungen. Hierbei kann, wie das namibische Beispiel anzudeuten scheint, die Sicherung der eigenen Versorgung mit einer Ressource auch dadurch erzielt werden, indem man auf der Grundlage derselben Ressource (!) die (bis dato unbefriedigende) Versorgung Anderer erreicht. Auch wenn eine pauschale Übertragbarkeit dessen einstweilen noch fraglich erscheint, so ist diese These im Umfeld eines ansonsten vielfach bestimmenden Konkurrenz-Dogmas ein bedeutsames Ergebnis.

Das Teilprojekt steht seit Mitte 2004 in einem engen und erfolgreichen, inhaltlichen wie logistischen Kooperationsverhältnis mit dem Projekt „IWRM im nördlichen Namibia – Cuvelai-Delta; Sondierungsvorhaben“, welches seinerseits ein Kooperationsprojekt zwischen ISOE und Universität Frankfurt im Rahmen des BMBF-Forschungsschwerpunktes „IWRM“ darstellt. In diesem Rahmen wurden in den vergangenen 15 Monaten drei Geländekampagnen in das zentrale und nördliche Namibia unternommen.

In der abschließenden Projektphase wird nun – stärker losgelöst von der regionalen Einzelfall-Untersuchung – die Frage einer evtl. Übertragbarkeit einzelner Charakteristika des Versorgungsraums am Beispiel der Ressource Wasser auf diejenigen anderer Ressourcen im Kern der Analysen stehen. Zentral ist dabei die Frage, ob das zu konstatierende Oszillieren der Versorgungsraum-Grenzen um politisch-administrative Grenzen bestimmten, übertragbaren Mustern folgt. Einen besonderen Schwerpunkt wird hierbei die Allmende-Problematik einnehmen – genauer: die Frage, welche Modi sich möglicherweise in der nutzungsrechtlichen Zuordnung von Ressourcen in zunächst nicht „exklusiv zugewiesenen“ Räumen erkennen lassen. Zudem wird der erarbeitete Vorschlag für das Einbeziehen der räumlichen Komponente in das übergeordnete Versorgungssystem-Modell weiter differenziert.

In mehrfacher Weise gewährleistet damit das Versorgungsraum-Konzept bzw. die Definition von räumlichen Grenzen in Versorgungszusammenhängen schließlich gleichermaßen die Rückbindung des geographischen Teilprojekts an das Gesamtprojekt wie auch die integrative Verknüpfung von Physischer Geographie einerseits und Anthropogeographie andererseits.

Stand: Februar 2006