Evolutions- und Transformationsmodelle für die Nahrungsversorgung
Fallstudie: Lebensweisen pleistozäner Hominiden in Jawa

Christine Hertler

Zusammenhänge zwischen Organismen, Populationen und Ressourcen als Versorgungssysteme zu verstehen, ist in den Biowissenschaften ungewohnt. Gewöhnlich wird dort davon ausgegangen, dass es einen naturwüchsigen Zusammenhang zwischen einem Organismus, dessen Ernährung und Verhaltensweisen gibt. Dabei ist durch den Naturprozess Evolution sichergestellt, dass Organismen überleben, dass also ihre Nahrungsversorgung gelingt.

Die Frage, in welcher Weise Organismen mit ihren Lebens- und Ernährungsweisen – und zwar den individuellen als auch den gruppenbezogenen – auf ihre Umwelt gestaltend einwirken, wird dabei ganz selten gestellt. Im Rahmen des -Projektes haben wir deshalb ganz bewusst die Perspektive erweitert und ein übergeordnetes Modell für Versorgungssysteme entwickelt. Im biowissenschaftlichen Projektteil wird dieses Modell ausgearbeitet, damit biologische Anteile von Versorgungssystemen und ihre Verhältnisse zu- und Wechselwirkungen miteinander dargestellt werden können. Im Anschluss daran kann untersucht werden, wie sich die Nahrungsversorgung im Rahmen von Entwicklungs- und Transformationsprozessen verändert.

Modelle von Versorgungssystemen für die Biowissenschaften

In biologischem Sinne stellt ein Versorgungssystem Verhältnisse zwischen Organismen, Populationen und den von ihnen genutzten Ressourcen dar. Alle drei Komponenten müssen sorgfältig unterschieden werden.

Organismen

Zunächst verfügt ein Organismus über ein Ernährungssystem, das es ihm erlaubt, sich bestimmte Nahrung zu verschaffen, aufzuschließen und im Stoffwechsel zu verarbeiten. Der Organismus kann sich ernähren, er erbringt eine notwendige, bionome Leistung. Dabei kann man am Gebiss unterschiedlicher Lebewesen erkennen, dass sie auf einen bestimmten Nahrungstyp – Pflanzen oder Fleisch – festgelegt sind. Andere Lebewesen, darunter auch Menschen, können sich dagegen von völlig unterschiedlichen Dingen ernähren.

Ressourcen

Bei allen Naturstücken, die Menschen als Nahrung dienen können, handelt es sich um Ressourcen im biologischen Sinne. Dabei nutzen Menschen niemals sämtliche in ihrer Umgebung verfügbaren Nahrungsquellen. Vielmehr treffen sie eine Auswahl. Welche Ressource in einer konkreten Situation als Nahrungsmittel ausgewählt wird, hängt dabei von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Darunter sind selbstverständlich auch viele, die sich biologisch überhaupt nicht darstellen lassen oder nur am Rande biologisch behandelbar sind, wie zum Beispiel Nahrungstabus. Im Rahmen der Fallstudie werden solche kulturellen Praktiken daher ganz bewusst ausgeklammert. Sie müssen in der interdisziplinären Version des Modells für Versorgungssysteme einbezogen werden.
Dieser Auswahlprozess lässt sich dabei durchaus auch als Form der Ressourcenbewirtschaftung verstehen: Denn dass eine bestimmte Ressource auch zukünftig zur Nutzung zur Verfügung stehen soll, kann durchaus ein Kriterium sein, das in die Entscheidung für oder gegen die Nutzung einer bestimmten Ressource eingeht. Sie müssen daher auch im Modell einbezogen werden können.

Population

Wenn über die Nutzung einer bestimmten Ressource entschieden werden soll, so wird diese Entscheidung gerade von Menschen nicht ausschliesslich auf einer individuellen Ebene gefällt. Die dritte Komponente in unserem Modell wird daher von der Population vertreten. Die Population stellt den grundlegenden Reproduktions- und Lebenszusammenhang dar, in dem Organismen vorkommen. Auch sie erbringt Leistungen, an denen ein Einzelner Anteil hat oder angewiesen ist. So werden zum Beispiel Mitglieder versorgt, die selbst keine Nahrung für die Population beschaffen können: Säuglinge etwa. In Populationen werden somit Aufgabenteilungen realisiert.

Evolution und Transformation

Das von uns entwickelte Modell für Versorgungssysteme dient zunächst der Beschreibung und Analyse einer bestimmten Ausgangslage. Sollen nun Evolutions- bzw. Transformationsvorgänge beschrieben werden, dann ist der gesamte Zusammenhang als dynamisch zu verstehen. Wir können nun fragen, welche Eingriffe in den Zusammenhange, welche Folgen für die einzelnen Komponenten nach sich ziehen können: Welche Auswirkungen hat zum Beispiel Wachstum oder Schrumpfung einer Population für die Nutzung einer bestimmten Nahrungsquelle? Was passiert, wenn die Nutzungsweise sich ändert? Welche Folgen hat die Etablierung veränderter Lebensweisen und damit neuer Bewirtschaftungsformen für die Größe der Populationen?

Die Fallstudie: Lebensweisen pleistozäner Hominiden in Jawa

Jawa ist mindestens 1 Million Jahren, möglicherweise auch sehr viel länger von Menschen bewohnt. In diesem Zeitraum haben sich ihr Lebensraum und damit auch ihre Lebensweise stark gewandelt. Im Rahmen der Fallstudie werden die verschiedenen Lebensweisen pleistozäner Hominiden untersucht und rekonstruiert. Dies geschieht exemplarisch auf allen im Modell relevanten Ebenen.

- potenzielle Nahrungsressourcen: Erfassung und Rekonstruktion von Faunenelementen des Pleistozäns in Jawa; Ansätze zur Rekonstruktion ökologisch relevanter Umweltparameter

- sich ernährende Organismen: Die Nutzung mariner und terrestrischer Nahrungsquellen durch Hominiden im Laufe ihrer Migrationen nach Südostasien

- Ernährungsstrategien in Populationen und ihr Wandel

Im Zusammenhang mit der Fallstudie werden Untersuchungen in Sammlungen im In- und Ausland sowie Geländearbeiten in Jawa durchgeführt.

Stand: November 2003